Vortrag von Kriminalkommissar a.D. Manfred Paulus bei SI Lauterbach-Vogelsberg im Rahmen der Vogelsberger Frauenwochen
Susanne Bolduan, Präsidentin von Soroptimist International (SI) Lauterbach-Vogelsberg und damit Gastgeberin des Abends, führte in ihrer Begrüßung das Publikum in einer gelungenen Übersicht direkt in das schwierige und kaum wahrgenommene Thema „Menschenhandel und Sexsklaverei in Deutschland“ ein. Referent Manfred Paulus, Kriminalkommissar a.D. verfügt über langjährige Ermittlungserfahrungen im Bereich Rotlichtkriminalität und eröffnete der interessierten Zuhörerschaft die schreckliche, aber dennoch reale und in Deutschland tief und weitreichend vernetzte Welt von Zwangsprostitution und Sexsklaverei, deren Opfer Hunderttausende junger Frauen sind, davon zu 90 % aus ost- und südosteuropäischen Ländern und großenteils unter 21 Jahren. Eine Parallelwelt, wie er ausführte, aus der es kein Entrinnen gibt und die eigenen Gesetzen gehorcht – den Gesetzen mächtiger, krimineller Clans, die das Milieu regieren und die Verrat mit unsäglich gewalttätigen „Strafen“ beantworten, die jene Frauen treffen, die sich aus der Gewalt eines Zuhälterrings befreien wollen – was demzufolge keine der Frauen wagt. Aus diesem Grund gibt es kaum Ermittlungsfälle, praktisch keine Anzeigen und daher auch keine Strafen für die Täter. Das Schlimmste allerdings ist, so Paulus, dass es keine geeignete rechtliche Handhabe gibt: die Gesetzgebung in Deutschland geht von Freiwilligkeit aus – das Wort „Prostitution“ und damit auch das „Prostitutionsgesetz“ von 2001 und das „Prostitutionsschutzgesetzt“ von 2017 setzen im „Gewerbe“ Freiwilligkeit voraus. Die menschenunwürdige Welt der Sexsklaverei in Deutschland beruht aber auf Zwangsprostitution, und so führt die Gesetzgebung an der real existierenden Ausbeutung dieser jungen Frauen – allesamt Opfer - schlicht vorbei; die Dunkelziffern sind enorm und Paulus scheute sich nicht festzuhalten:“Deutschland ist der Puff Europas geworden“, da Zuhältern und Rotlichtclans hier Möglichkeiten offenstehen, die andere europäische Länder wie Schweden oder Frankreich mit einer strikten Gesetzgebung nicht ermöglichen. Die jungen Frauen werden in ihrer Heimat angeworben, meist wirtschaftlich sehr schwache Länder, in denen Perspektivlosigkeit den Wunsch nach der besseren Welt im Westen groß werden lässt. Versprechungen auf ein sorgenfreies Leben mit guten Jobs lassen die Frauen in die Falle der „Lover Boys“ tappen, die schon auf dem Weg nach Deutschland die Maske fallen lassen. Schleuser nehmen jungen Frauen die Pässe ab, sie werden vergewaltigt, oft von mehreren Männern, und im höchsten Maß – körperlich und emotional – bedroht und unter Druck gesetzt und zudem kriminalisiert, indem man ihnen z.B. Drogen verabreicht. Zur erlittenen Gewalt und Demütigung kommen extreme Hilflosigkeit und Abhängigkeit hinzu. Einmal in Deutschland angekommen, nimmt die weitere wirtschaftliche und menschliche Ausbeutung der weiblichen Opfer in Bordellen und anderen Rotlichtmilieus ihren grausamen Gang.
Paulus zeigte auf, wie Clanchefs oder Zuhälter die „Ware Frau berechnen“: bei null Investitionen ist sie auf Jahre hinaus ausbeutbar, da sie mehrfach verkauft werden kann, anders als Waffen oder Drogen. Eine eiskalte, menschenverachtende „Wirtschaft“, die juristisch und ermittlungstechnisch in Deutschland nicht oder nur kaum „festzunageln“ ist und deren Schilderung das Publikum mehrfach aufwühlte und erschütterte. Vor diesem Hintergrund kam die Misere plötzlich ganz nah: SI hatte die Polizei des Vogelsbergkreises zum Vortrag eingeladen, die jedoch ihre Teilnahme mit den Worten absagte, es hätte nur zwei Ermittlungsfälle in den letzten vier Jahren gegeben, damit sei das Problem praktisch nicht vorhanden. Eine Aussage die schmerzt, angesichts der brutalen Realität, die Paulus schilderte. Obwohl man die echten Vorgänge kenne, würde das Problem in Deutschland bagatellisiert und nur unzureichend bekämpft, so Paulus. So ist dessen vorrangigstes Anliegen die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Prävention in den Heimatgebieten der Opfer. Für Beides engagiert sich der ehemalige Kriminalkommissar zusammen mit dem SI Club Aalen-Ostwürtemberg bereits seit einigen Jahren. Er bedankte sich ausdrücklich auch für die Einladung von SI Lauterbach-Vogelsberg und gab der Hoffnung Ausdruck, dass weitere SI-Projekte helfen, neue Opfer zu verhindern und anderen einen Ausweg zu ermöglichen. Ein Erfolg des gemeinschaftlichen Engagements zwischen Paulus und SI Aalen ist die ZDF-Dokumentation „Bordell Deutschland“, die über die ZDF-Mediathek abrufbar und für den europäischen Filmpreis nominiert ist. Ein weiterer Schritt zur Aufklärung ist mit seinem Vortrag nun auch im Vogelsberg getan.
Soroptimist International (SI) Lauterbach-Vogelsberg lädt ein zum Vortrag von Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a.D., am 14. März um 19:30 Uhr in die Aula der Sparkasse
Oberhessen in Lauterbach. Der Vortrag umreißt „Anwerbemethoden, Schleusungspraktiken, Ausbeutungsformen von Menschenhandel und Sexsklaverei in Deutschland“ und findet im Rahmen der diesjährigen
Vogelsberger Frauenwochen statt.
„Sind es hunderttausend, zweihunderttausend oder mehr junge Frauen und Kinder aus Ost- und Südosteuropa und anderen Teilen dieser Welt, die nach Deutschland gehandelt und hier der Zwangsprostitution
zugeführt werden? Allein daran, dass wir die Antwort nicht kennen, ist ersichtlich, dass wir uns zu wenig um diese Verbrechen, um die Täter und um ihre Opfer kümmern. Sie nehmen nicht ab, sondern
weiterhin zu, und Deutschland ist anhaltend und in hohem Maße daran beteiligt.“ so Paulus. Er zeigt in seinem Vortrag Abläufe, Rücksichtslosigkeit und Brutalität des Handelns in diesem
Verbrechensbereich auf. Deutlich wird auch der Umgang mit diesen Fragen in Deutschland, der große Schatten wirft. Manfred Paulus war vormals Leiter einer Kriminalinspektion in Ulm und
Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg. Der Kriminalist verfügt über langjährige Ermittlungserfahrungen im Bereich Rotlichtkriminalität und gilt europaweit als
anerkannter Experte und gefragter Referent zu den Themen und Verbrechensbereichen, welche die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern zum Inhalt haben. Im Anschluss an den Vortrag ist das Publikum
zur Diskussion eingeladen. Der Eintritt ist frei, SI bittet um eine Spende für die Prävention von Frauenhandel aus Rumänien.