3 Millionen Götter – und alle schauen weg
LAUTERBACH - Drei Millionen Götter besitzen Indiens Hindus und keiner davon ist für die Gleichstellung der Frau zuständig. Aber auch Allah und der christliche Gott scheinen wegzuschauen, wenn das weibliche Geschlecht in Indien unterdrückt wird. Die Frauen der Vereinigung „Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg“ (SI) schauten genau hin und organisierten einen Benefizabend zum Thema Frauenleben in Indien, dessen Erlös einem Dorfentwicklungsprojekt im südwestlich gelegenen Kerala zugutekommen soll. 240 Zuschauer kamen zur Veranstaltung.
Indien, das Land der Religionen und der Widersprüche. Weit weg und für viele Europäer ein Mysterium. Die Schülerin Clarissa Schwarzer aus Lauterbach und die Diplom-Psychologin Anuradha Noell aus Alsfeld hoben den geheimnisvollen Schleier in der Aula der Sparkasse Oberhessen durch ihre Vorträge ein wenig an. Clarissa Schwarzer war 365 Tage ein Teil der indischen Gesellschaft, sie lebte mitten unter den Menschen in drei Gastfamilien. Man merkte Clarissa den Zwiespalt an, die schönen Erlebnisse überwogen. Dennoch, auch wenn es nur kurz anklang, der indische Mann scheint für sie die Rolle des Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu verkörpern. Fakt ist, wie es durch die Weltpresse ging: In Indien kann man rasch das Opfer einer Vergewaltigung werden, da Frauen wenig oder gar nichts wert sind in den Augen des Patriarchats.
Dr. Mathew Moozhiyil (Agraringenieur) und Leelamony Moozhiyil (Krankenschwester) sind die aus Indien stammenden Eltern von Anuradha Noell. 1989 verließ die Familie Gießen und kehrten zurück in ihr Heimatland, in das Dorf Sreekandamangalam in Kerala, um ein Hilfsprojekt ins Leben zu rufen, das die gesellschaftliche Position einiger Frauen verbessern sollte. Da war Anuradha Noell zehn Jahre alt und der Kulturschock vorprogrammiert.
„Das nenne ich gelebte Emanzipation!“, war SI-Präsidentin Gudrun Bornkessel erfreut über den großen Männeranteil im Publikum. Eingehend dankte sie allen Sponsoren, bevor Tatjana Sercis, Künstlername Shanti, ihre Liebe zu Indien mit dem Flügeltanz untermauerte. Mit ihrer Tanzgruppe sorgte sie für den Hauch Bollywood, der den Abend abrundete. Die Moderation oblag Gabriele Ruppenthal und die Technik war in der Hand von Norbert Ludwig.
Viel indische Lebensfreude hatte Clarissa Schwarzer sich im Herz und der Erinnerung bewahrt. Der Sari (indisches Kleidungsstück für Frauen) bekräftigte das noch. Mit einem besonderen Lächeln berichtete sie über die vielen Feste in Surat, der Stadt mit fünf Millionen Einwohnern. Ob Drachenfest oder indische Hochzeit – Clarissa war dabei. Dem Yoga und der indischen Hennamalerei widmete sie viel Aufmerksamkeit. Schule hatte oberste Priorität und vor Sonnenuntergang zu Hause sein, lautete die oberste Regel, obwohl Surat zu den sicheren Städte Indiens zählt. Am Beispiel eines Tagesablaufs war ihr Vortrag gekoppelt. Für sie ungewohnt war, dass alle Gastmütter nicht arbeiteten und über Dienstpersonal verfügten. Davon lebte eine Bedienstetenfamilie in der Einfahrt. Für Clarissa hatte das Leben in der gegensätzlichen Gesellschaft zum Glück ein Ablaufdatum, wo Männer das Sagen haben und 70 Prozent der Frauen Opfer von häuslicher Gewalt sind. Clarissas Blick auf die Dinge verdient Hochachtung, gemessen am Beifall des Vortrags.
Von der Gießener Schulbank in ein Klassenzimmer, in dem absoluter Drill herrschte und Lehrer Kinder schlagen durften. Anuradha Noell eroberte das Heimatland der Eltern langsam. „Ich habe großes Glück, in beiden Kulturen groß werden zu dürfen“, gesteht die junge Frau und Mutter einer kleinen Tochter. Vorab gewährte sie Einblicke in die Strukturen der Provinz Kerala (Kokosnuss), bevor sie auf das Dorfentwicklungsprojekt mit verschiedenen nachhaltigen Standbeinen zu sprechen kam. Das Spektrum reicht vom biologischen Nahrungsmittelanbau, Haustierhaltung bis zu handwerklichen Berufen (Nähen, Sticken, Buchbinderei, Metall- und Holzwerkstätte). Die Mitarbeiter sind hauptsächlich Frauen. Ferner wird sanfter Tourismus betrieben – ayurvedische Anwendungen inklusive. Die Frauen im Dorfprojekt haben eine ganz andere Haltung. Mit der Arbeit kam das Selbstwertgefühl. „Indien ist im Begriff des Wandels“, erklärte die Referentin. Die Zahl der abgetriebenen weiblichen Föten sinkt und so einfach geben Frauen ihre paar Tage alten Mädchen nicht mehr zu Adoption frei. Ebenso erzählte Anuradha Noell von dem Mann aus der Arbeiterklasse, der ganz stolz seine jüngst geborene Tochter im ganzen Dorf herumzeigte. Ihm war es egal, dass er Vater eines Mädchens war, die ohne Brautpreis kaum zu verheiraten sein wird. Dass sich gesellschaftlich etwas tut, dazu hat die Vision von Dr. Mathew Moozhiyil und Leelamony Moozhiyil einen Beitrag geleistet. Derartige Projekte verdienen, unterstützt zu werden.
Mag Indien in Sachen Frauenrechte kleine Schritte machen, so bleibt zu sagen, dass Deutschland den Prozess der Angleichung auch noch nicht völlig abgeschlossen hat.
Von Gerhard Otterbein, Lauterbacher Anzeiger 17.03.2014
Am Freitag, den 14. März 2014, ab 19:30 Uhr, veranstaltet Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg in der Sparkassenaula Lauterbach einen Benefizabend zum Thema Frauenleben in Indien. Der Erlös wird einem Dorfentwicklungsprojekt im indischen Kerala zugute kommen.
Im Zentrum der Veranstaltung stehen die Berichte von zwei jungen Frauen, die Indien von innen erlebt haben.
Die Schülerin Clarissa Schwarzer aus Lauterbach reiste für ein ganzes Jahr nach Surat im indischen Bundesstaat Gujarat, wo sie bei verschiedenen Gasteltern lebte. Vor allem die ersten Monate waren nicht immer einfach, Sprachprobleme und kulturelle Unterschiede haben die junge Frau mehr als einmal vor eine große Herausforderung gestellt. Doch sie hat auch viel Schönes erlebt, neue Freunde gewonnen und gelernt, das Leben in Indien zu meistern.
Frau Anuradha Noell ist in Gießen aufgewachsen, doch eines Tages beschlossen ihre Eltern, wieder in ihr Heimatdorf in Indien zurückzukehren. Was für die Eltern vertraut war, war jedoch für Anuradha und ihre Geschwister fremd, die Kinder mussten sich die neue Heimat erst mühsam erobern. Als junge Frau ist Anuradha wieder nach Deutschland zurückgekehrt; inzwischen lebt sie mit Mann und Tochter im hessischen Alsfeld. Der Rest der Familie ist jedoch in Indien geblieben. Bis heute ist Anuradha Noell fest mit beiden Kulturen verwurzelt.
Die Vorträge von Clarissa und Anuradha werden die Zuhörer mitnehmen auf eine abenteuerliche Reise in dieses ferne Land, in dem das Leben für Frauen noch immer voller Hürden ist und einen ganz besonderen Blick auf das Leben von Frauen in Indien und Deutschland ermöglichen.
Dieser Wandel zwischen den Kulturen wird musikalisch von der Bollywood-Tanzgruppe SALAAM NAMASTE von Frau Tatjana Sercis, indischer Musik und Hennamalerei begleitet. Für das leibliche Wohl sorgt ein kleines Buffet mit indischem Finger-Food, indischem Whisky und indischem Wein.
Der Eintritt beträgt 5,-- Euro, ermäßigte Karten gibt es für 3,-- Euro
Kartenvorverkauf: Das Buch und Lesezeichen, Lauterbach
Die Veranstaltung findet im Rahmen der internationalen Frauenwoche statt, doch sie wendet sich nicht nur an Frauen. Auch Männer sind herzlich willkommen.
Gabriele Ruppenthal, SI Club Lauterbach Vogelsberg