7. Dezember 2025
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” Fünf Worte, die heute selbstverständlich klingen. Doch dass dieser Satz 1949 ins Grundgesetz kam, war alles andere als selbstverständlich – es war das Ergebnis eines harten Kampfes. Und eine Frau spielte dabei die entscheidende Rolle: Elisabeth Selbert.
Eine ungewöhnliche Biografie
Elisabeth Selbert (1896-1986) war selbst ein Beispiel dafür, was Frauen leisten können, wenn man sie lässt. Geboren als Martha Elisabeth Rohde in einfachen Verhältnissen in Kassel, arbeitete sie zunächst als Auslandskorrespondentin und Postgehilfin. Durch ihren Ehemann Albert Selbert fand sie zur Politik und trat in die SPD ein. Mit 30 Jahren – bereits Mutter zweier Söhne – holte sie ihr Abitur nach und studierte anschließend Jura in Marburg und Göttingen.
Der Kampf im Parlamentarischen Rat
1948/49 gehörte Elisabeth Selbert zu den nur vier Frauen unter 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz ausarbeitete. Für Elisabeth war klar: „Die Frau muss auf allen Rechtsgebieten dem Manne gleichgestellt werden!” Doch als es im Dezember 1948 um die Gleichberechtigung ging, erlebte Selbert eine herbe Enttäuschung: Alle bürgerlichen Parteien – und sogar die beiden weiblichen CDU-Vertreterinnen – lehnten ihre Forderung ab. Sie wollten nur die schwache Formulierung aus der Weimarer Verfassung übernehmen: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.” Doch Elisabeth wusste aus ihrer juristischen Erfahrung, dass „staatsbürgerliche Rechte und Pflichten” in der Realität eine Einschränkung bedeuteten – Frauen könnten wählen, aber im Familienrecht, Eherecht und bei der Arbeit würden sie weiter benachteiligt bleiben. Insbesondere bedeutete dies, dass der Ehemann allein über den Wohnort entscheiden durfte, er konnte das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen, verheiratete Frauen mussten kostenlos im Betrieb ihrer Ehemänner arbeiten und Mütter hatten nicht die gleichen Rechte wie Väter bei der Kindererziehung.
Der „Proteststurm der Frauen”
Elisabeth Selbert ging in die Öffentlichkeit. Sie organisierte Kampagnen und rief Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen zum Protest auf. Briefe wurden an den Parlamentarischen Rat gesandt, Frauenorganisationen meldeten sich zu Wort. Ihr Protest hatte schließlich Erfolg. Am 18. Januar 1949 wurde der Satz beschlossen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” Zwar gab es noch eine Übergangsregelung, die bis zum 31. März 1953 dauerte, doch Elisabeth Selbert hatte gewonnen.
Ein bleibendes Vermächtnis
Elisabeth Selbert war keine „Frauenrechtlerin gegen die Männer”, sondern eine kluge Strategin. Sie arbeitete innerhalb der SPD, nutzte demokratische Verfahren und öffentlichen Druck – und verankerte damit einen Satz im Grundgesetz, der bis heute die Grundlage für Gleichstellungspolitik bildet.
1956 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, 1983 wurde der Elisabeth-Selbert-Preis geschaffen. Straßen und Schulen tragen ihren Namen. Zwei Jahre vor ihrem Tod 1986 wurde sie zur Kasseler Ehrenbürgerin ernannt.
Heute, über 75 Jahre später, sind wir noch immer nicht am Ziel. Frauen verdienen im Durchschnitt weniger, sind seltener in Führungspositionen vertreten, und die Sorgearbeit wird überwiegend von ihnen geleistet. Doch die rechtliche Grundlage für diese Kämpfe – „Männer und Frauen sind gleichberechtigt” – haben wir Elisabeth Selbert zu verdanken.
Text: Gabriele Ruppenthal