Hessische Frauenschicksale: In der Fremde bestehen
Ein Leben in Freiheit:
Als Evelyn Hofer 1922 im hessischen Marburg zur Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass ihr Leben schon bald aus den Fugen geraten würde. Vater Gustav Schünemann-Hofer war 1918 von Hamburg nach Marburg gekommen und hatte eine leitende Position im pharmazeutischen Behring-Werk inne. Die Familie war wohlhabend, man wohnte in Marburgs schicker Elsenhöhe und genoss ein sorgenfreies, großbürgerliches Leben.
Die Machtergreifung Hitlers und das veränderte politische Klima krempelte das Leben der Hofers vollkommen um: da sich die Familie in Deutschland nicht mehr wohlfühlte, entschloss man sich, nach Madrid auszuwandern. Die politische Sicherheit in Spanien erwies sich jedoch als trügerisch. Als drei Jahre später in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach, kämpfte Vater Gustav auf Seiten der Republikaner, während seine Frau und seine beiden Töchter ins Engadin auswichen.
Die Schweizer Jahre waren für Evelyn von vielen Wechseln geprägt. Nach dem Besuch der Internationalen Schule in Genf bewarb sie sich am Pariser Musikkonservatorium, doch ein verpatztes Vorspielen beendete ihre Klavierkarriere, noch ehe sie begonnen hatte. Mit Feuereifer stürzte sie sich nun in ein neues Betätigungsfeld, und nahm Unterricht bei den renommierten Fotografen Robert Spreng in Basel und Hans Finsler in Zürich.
1939 erlebte die Familie erneut eine politische Katastrophe: die rechtsgerichteten Putschisten unter General Franco siegten über die Truppen der Republikaner. Es folgte das Ende der Republik in Spanien und der Beginn der Militärdiktatur. Erneut packten die Hofers ihre Habseligkeiten zusammen, und wanderten nach Mexico City aus. Hier richtete sich Mutter Elvira ein Atelier ein und begann, als Bildhauerin zu arbeiten. Zu den mexikanischen Künstlern Diego Rivera und Frieda Kahlo entwickelte sie einen engen Kontakt. Tochter Evelyn bemühte sich währenddessen um Arbeit in der Fotobranche.
Doch erst der Umzug nach New York 1946 brachte den internationalen Durchbruch. 1947 begann sie, für große Zeitschriften wie Harper’s Bazaar und Vogue als freiberufliche Fotografin zu arbeiten. Ab den 1950er Jahren erreichte sie mit ihren Städteportraits über New York, Florenz und Dublin zunehmende Bekanntheit als künstlerische Fotografin. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sie sich zu einer der besten weiblichen Fotografen der jüngeren Fotografie-Geschichte.
2005 verließ sie New York und zog sie zu ihrer Schwester nach Mexico City, wo sie 2009 im Alter von 87 Jahren verstarb.
Recherche und Text: Gabi Ruppenthal